7/16/2007

Ein Tag in New York

New York ist laut, viel zu laut. Die Stadt stinkt, ist zu heiß, zu kalt, zu stickig, zu stressig. Es leben und arbeiten viel zu viele Menschen hier. Wo kommen die her? Wo gehen die hin? Die Taxifahrer reden weder Englisch, noch verstehen sie es ... Sie kennen die Stadt noch nicht einmal.
Die Züge zur Arbeit sind vollgestopft mit Menschen, deren dicke, schwitzende Körper sich aneinander reiben. Es ist zu eng, die Bahn zu laut. Mal fährt sie schnell, meist aber langsam. Manchmal bleibt sie einfach stehen...mitten im Tunnel - mal 5 mal 10 Minuten. Es gibt AC. Die Luft im Zug ist frisch, manchmal funktioniert die Klimaregulierung aber nicht, dann ist es kalt, wie in einer Tiefkühltruhe oder heiß, wie in einer Sauna.
Überall Menschen in der Grand Central Station. Wo kommen die her? Wo wollen die hin? Mein Gott - lauft doch schneller. Steht nicht im Weg rum. Bewegt eure fetten Ärsche! Ich komme zu spät zur Arbeit! Schon wieder. Obwohl ich den Expresszug genommen habe. Ich will an der Menschenmenge vorbei, stolper fast. Laufe, laufe immer schneller. Ich darf nicht zu spät kommen, nicht schon wieder. Was soll das für einen Eindruck machen? Es ist heiß, zu heiß. Die Luft in der Bahnstation steht, sie ließe sich mit einem Messer zerschneiden. Wenn ich nur eines hätte...auch wenn es nur eines aus Plastik wäre, so wie alles hier in diesem Land aus Plastik ist. Wie es sich anfühlt mit Silber- oder Aluminiumbesteck zu essen? Das weiß ich gar nicht mehr. Aber Halt! Stopp! Meine Gedanken schweifen ab. Ich muss zur Arbeit. Warum laufen die denn nicht? Ich will raus, raus an die frische befreiende Luft, vorbei am deutschen Marktstand. Ich werfe nur einen kurzen Blick auf die Ware. Beim ersten Mal stand ich 30, vielleich auch 40 Minuten vor der Theke...kaum den Blick abwenden könnend - Erdbeermarmelade von Schwartau (Ich hasse Erdbeermarmelade), Nutella (Schokolade auf dem Frühstücksbrötchen finde ich widerlich) und Pumpernickel. Wo ist das richtige, das richtige deutsche Brot? Ich frage nach. So viel Zeit muss sein! Es gibt abgepacktes Graubrot. Graubrot! Ich halte es in den Händen, als wäre es der Ring aus Tolkiens Trilogie. Ich vermisse es...mein Brot. Das herzhafte, echte Brot. Das amerikanische Weißbrot hat meinen Bauch anschwellen lassen. Ich bin dick und fühle mich unwohl. Ich muss es einfach...aber Halt! Wie kann ich mich verleiten lassen? Das Brot ist abgepackt und noch mindestens 3 Monate haltbar. Importierte und vor allem schlechte deutsche Ware ... zu einem horrenten Dollarpreis. Ich lege es hin, gehe zum Italiener, der frisches Brot hat. Es schmeckt fast genauso gut, wie das zu Hause. Wenigstens was!
Im Sauseschritt geht es zur Arbeit. Bitte, bitte lass mich die Erste sein. Bitte! Bitte! Dann merkt auch keiner, dass ich zu spät bin. Nur Valencia aus dem Language Lab würde es merken. Aber das ist mir egal. Valencia ist toll - sie lacht und die Sonne geht auf. Sie ist eine Afroamerikanerin und lebt in Harlem, wie die meisten Afroamerikaner und wie ich. In Amerika werden die Rassen kategorisiert - es gibt die Caucasians, die Hispanics und die African Americans. Mir gefällt das nicht - es steckt aber tief, tief in den Köpfen aller. Die Gruppen distanzieren sich voneinander auch wenn sie zusammen arbeiten und leben ... sie fühlen sich stark unter ihresgleichen.
Uff, Bill ist noch nicht da. Ich schalte das Licht ein, denn es ist dunkel im Büro. Selbst wenn die Sonne draußen scheint, bleibt es dunkel im kleinen Büro. Ich gehe zum Computer, den ich nach meiner Ankunft selbst aufgebaut habe. Ich surfe im Internet, mache ein paar private Sachen, denn viel gibt es im Moment nicht zu tun. Bill kommt erst halb 11. Wir reden viel und lachen auch - aber erst nachdem der erste Schwung Arbeit weg ist und er wieder gute Laune hat. Kaiser Wilhelm ist hungrig. Er wuselt vor meinen Füßen herum und bettelt um Essen. Er macht sogar Sitz - das macht er sonst nicht. Der kleine Pinscher. Aber eigentlich ist er ganz süß. Ich vermisse ihn, wenn er nach Hause geht. Oliver ist auch noch nicht da. Mein Chef. Er bringt die Arbeit mit. Bis dahin helfe ich Bill.
Die Mittagspause ist nicht mehr weit. Ich habe Hunger, nein, Riesenkohldampf. Ich gehe in die Mittagspause, vielleicht eine Stunde, vielleicht aber auch nur zehn Minuten, denn es ist heiß. Ich danke Gott für die Erfindung der Klimaanlage. Ich will eigentlich nicht raus, aber ich muss Essen besorgen, auch wenn die Sommerhitze den Appetit schnell vergessen lässt. Ich gehe zum Fahrstuhl, fahre nach Parterre, vorbei am Inder mit dem Büdchen. Er ruft immer "Hey, my frrriend." Mir ist das manchmal unangenehm, besonders wenn ich nichts bei ihm kaufen will. Er ist seit 20 Jahren da. Er freut sich immer, wenn er mich sieht. Ich finde es toll, nur jetzt nicht. Ich habe Hunger. Ich laufe schnell...schnell an ihm vorbei ohne hinzuschauen. Obwohl, das stimmt nicht; ich blinzele aus den Augenwinkeln nach rechts rüber. Er döst ein wenig. Puuh, schnell weg. Geschafft! Raus aus dem Hinterausgang in die 45. Straße. Ich laufe weiter in die Zweite Avenue. Hier gibt es viele kleine Essengeschäfte. Hier arbeiten auch viele Menschen - hier in Midtown, direkt unter dem Chrysler Building - dem Geschäftszentrum New Yorks.
Ich gehe in meinen Lieblings Deli. Hier gibt es eine Salatbar, auch mit warmem Essen. Es schmeckt nicht richtig gut, manchmal bereue ich meine Auswahl. Aber Essen in New York ist teuer. Ich setze mich in das erste Obergeschoss. Hier gibt es Sitzplätze und auch immer einen für mich. Die Stadt ist voll, die Sitzgelegenheiten begrenzt. Ich will nicht im Büro essen, denn dann bettelt Kaiser wieder. Ich bleibe und setze mich zu den anderen einsamen Mittagspäuslern und dem chinesischen Arbeitskollegium oder der singenden Polizistin, die mich unheimlich nervt. "Ruhe! Du blö** Kuh. Ich will beim Essen meine Ruhe haben. Mir reicht das dudelnde Radio, das vor sich hinrauscht. Ich will deine Sch*** Stimme nicht auch noch ertragen müssen..." Denke ich leise, wage es im Leben nicht zu sagen. Sie würde mich sofort festnehmen. Hier zögert keiner, auch nicht die Polizei. Ich zwinge mein Essen schnell rein ... Morgen hole ich etwas anderes oder gehe woanders hin. Versprochen!
Ich laufe zurück zur Arbeit. Die sengende Hitze macht mir zu schaffen. Schwupps hinein ins kühle Gebäude. Da bin ich wieder. Die Arbeit geht weiter. "Hello my frrrriend. How are you?" Mist. Ich zucke zusammen. Der Inder hat mich diesmal nicht einfach davonkommen lassen. Ich rufe zurück "Good. How are you?" Und verschwinde im Fahrstuhl. ....
Es ist gleich 6, gleich Feierabend. Ich sehne den Feierabend so herbei, obwohl ich noch nicht weiß, was ich mit dem angebrochenen Abend anfangen soll. Ich brauche einen Plan, einen tollen und außergewöhnlichen Plan. Ich will nicht in den Tag hineinleben ohne die Zeit genutzt zu haben. Ich bin Touristin, eine Touristin mit der Erlaubnis ein Praktikum machen zu dürfen - nicht mehr und nicht weniger. Ich will die Zeit ausnutzen und in vollen Zügen genießen. Denn bald ist es vorbei. Ich zähle die Wochen, die Tage ... bald fahre ich nach Hause. Wenn ich hier wohnen würde, wäre der Stress nicht so groß. Der Plan wäre viel einfacher ... nach der Arbeit nach Hause gehen, aber ohne das schlechte Gewissen, dass mich die Zeit nicht voll genießen lässt. Ich gehe also Shoppen...die einzige Aktivität, die in NewYork günstig ist. Nichts, bei dem ich Geld ausgebe, ist billiger als Shopping. Ich fühle den Himmel auf Erden ... Gott muss eine Frau sein!! Schnell zur Prince Street, dahin wo sie den Broadway kreuzt. Hier ist es schön, hier kann ich bleiben. Geschäfte reihen sich aneinander, wie Perlen auf einer Kette. Überall hängen neonfarbene SALE Schilder... 20% Off, 50% Off, 70% Off. Überschwenglich bis übermütig renne ich von einem Geschäft in das nächste. New York ist toll!!! Ich brauche kein T-Shirt mit dieser Message, die mich sofort als Touristin outen würde. Man sieht es mir an. Ich freue mich, ich grinse ... und die Menschen lachen zurück!

Geschafft und glücklich steige ich hinab in die Metro, die warm ist, aber angenehm warm. Ich mache meine Musik an: Ella Fitzgerald. Jazz! Ich schließe meine Augen! Ich fühle mich gut. Ein Lächeln auf den Lippen...die Bahn braucht sich nicht beeilen, denn ich habe Zeit.
Dann kommt sie doch. Es ist die 1, die Uptown Bronx Bahn. Herrlich. Jetzt muss ich nur durchfahren und irgendwann aussteigen. Es ist mein Glückstag: Ein freier Sitzplatz! Ich zwänge mich zwischen zwei dicke Muttis, komme kaum dazwischen, muss nachschieben, bis es klappt. Die Sitze sind unheimlich eng. Es geht trotzdem. Langsam spüre ich meine Füße wieder. Hoffentlich kommt jetzt keine alte Frau, der ich meinen Platz abtreten muss. An der nächsten Station gehen alte Gesichter und neue strömen herein. Oh nein...nur nicht schauen...Ich hebe meinen Kopf. Mist! Ich wollte doch nicht gucken. Puuh, Glück gehabt. Keine alte Frau, nur eine die sehr alt aussieht, aber im Leben die 50er Marke noch nicht erreicht hat. Jegliche Anstalt meinerseits ihr den Platz anzubieten, wäre eine Beleidigung ihr gegenüber. Ich schließe also die Augen und träume weiter ... aber nun zu Amy Winehouse's Soulstimme. Wie herrlich.
Die Bahn fährt aus dem Tunnel heraus. Sie ist jetzt übertags. Ich muss raus - ab ins International House, in mein Zimmer. Ich drücke den Knopf. Der Fahrstuhl kommt nicht. Er steckt irgendwo zwischen dem 7. und 8. Stock fest. Na prima! Laufen will ich nicht. Ich warte. Langsam werde ich nervös. Mein Gott! Wie lange kann es denn dauern, aus einem Fahrstuhl ein und wieder auszusteigen. Jetzt hängt er im 3. Stock...schon wieder. Langsam verliere ich die Geduld. Ich wippe mit dem Fuß, immer schneller, immer hörbarer für die Front Desk Mitarbeiter, denen ich meine Karte vorher gezeigt habe. Denn ohne die, kommt keiner rein. Ich fluche auf deutsch...Das versteht sowieso keiner, aber jeder kann sich denken, was ich zu sagen habe, denn nur wer flucht und schimpft, tut dies in seiner eigenen Sprache. Endlich! Der Fahrstuhl ist da, es strömen ein paar unbekannte Gesicher heraus. Ich herein. Und ab nach oben in mein Zimmer. Ich bin da. Wie herr... jee, ist es heiß hier drin. Ich reiße die Fenster auf und drehe den Deckenventilator auf die höchste Stufe. Es ist sooo heiß. Ich gehe auf die Dachterasse, denn da ist es schön und dort treffe ich Menschen, die ich kenne. Ein typischer Montag ist heute, ein Tag, an dem nicht viel gemacht wird, denn das Wochenende war anstrengend genug. Ich trinke einen Schluck Wein und gehe auf mein Zimmer, in der Hoffnung, dass es abgekühlt ist. Es ist. Ich bin erleichtert und setzte mich an meinen Laptop. Heute muss ich unbedingt Blog schreiben. Ich fühle mich so schlecht, da ich unregelmäßig schreibe - manchmal aus Zeitmangel, manchmal aus Lustmangel. Aber heute...was kann ich nur schreiben? Ich habe viel erlebt in den letzten Wochen, sehr viel sogar. Interessiert das die Leute zu Hause überhaupt? Ich zögere, schreibe dann doch. Es ist wie ein Tagebuch...das längste, das ich je in meinem Leben geschrieben habe. Ich lade noch ein paar Fotos hoch, denn davon habe ich schon Hunderte. Ich kann kaum auswählen. Ich finde alle toll. Es sind zu viele, zu viele für die Leute zu Hause, die die Eindrücke nicht selber machen konnten. Ich finde es schade und würde meine Erlebnisse gern intensiver teilen, mit Freunden und Familie...das geht aber nicht.
Dennoch: ich bin froh, nicht alleine hier zu sein. Die anderen Leute sind spitze ... meistens zumindest. Ich fühle mich wie auf einer Klassenfahrt, nur mit dem Unterschied, dass wir alle schon erwachsen sind...meistens zumindest. Ich bin froh Teil des Pall Mall Foundation Programms zu sein...das sage ich mir jeden Tag, vielleicht aber auch nur jeden zweiten. Aber ich weiß, dass ich Glück hatte, ausgewählt worden und Teil dieser Truppe zu sein.
Am Wochenende sind schon welche gefahren. Jetzt ist nur noch die Hälfte da. Es war traurig, denn wir haben uns gut verstanden...meistens zumindest. Wir haben viele Sachen erlebt, die wir nicht mit unseren besten Freunden teilen konnten. Das ist schön. Denn wer will schon in solch einer Stadt sein und alles allein erleben? Ich nicht. Denn New York ist toll ... meistens zumindest.

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